Organisation des Parlaments
Das Schweizer Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Nationalrat und dem Ständerat. Der Nationalrat vertritt die Bevölkerung der Schweiz. Der Ständerat repräsentiert die 26 Kantone. Die zwei Räte sind einander gleichgestellt: Alle Geschäfte werden sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat behandelt. Ihre Beschlüsse müssen übereinstimmen, damit sie in Kraft treten.
Grosse Kammer: Nationalrat
Der Nationalrat vertritt die Bevölkerung der Schweiz. Er hat 200 Sitze. Je grösser ein Kanton bevölkerungsmässig ist, desto mehr Sitze stehen ihm zu. Jeder Kanton hat Anspruch auf mindestens einen Sitz. Im Schnitt vertritt jedes Nationalratsmitglied rund 42 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Nationalrat wird auch als «grosse Kammer» oder als «Volkskammer» bezeichnet.
Nationalratspräsident 2023
Der Nationalrat wird jedes Jahr von einem anderen Ratsmitglied präsidiert. Nationalratspräsident 2023 ist Martin Candinas (Die Mitte). Er plant und leitet die Verhandlungen des Nationalrats, führt das Ratsbüro und vertritt den Nationalrat nach aussen.
Proporzwahlen
Nationalratswahlen finden alle vier Jahre statt, in den meisten Kantonen nach dem Verhältniswahlrecht (Proporz). Proporzwahl bedeutet: Die Sitze eines Kantons werden entsprechend der Stimmenstärke auf die verschiedenen Parteien verteilt. Auf diese Weise sind in der Volkskammer auch kleinere politische Kräfte vertreten.
Termin Nationalratswahlen
Die nächsten Wahlen finden statt im 22. Oktober 2023.
Der Ständerat hat 46 Mitglieder und vertritt die Kantone, auch «Stände» genannt. Zwanzig Kantone haben zwei Sitze, sechs Kantone je einen Sitz. Nur einen Sitz haben jene sechs Kantone, die die Bundesverfassung bis 1999 als «Halbkantone» bezeichnete: Ob- und Nidwalden, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Im Ständerat ist die Bevölkerungsstärke eines Kantons nicht von Belang. Der einwohnermässig kleine Kanton Uri hat ebenso zwei Sitze wie der grosse Kanton Zürich. Dieses System schafft ein Gegengewicht zur Stimmkraft, die die bevölkerungsreichen Kantone im Nationalrat haben. Der Ständerat wird oft auch «kleine Kammer» oder «Kantonskammer» genannt.
Ständeratspräsidentin 2023
Der Ständerat wird jedes Jahr von einem anderen Ratsmitglied präsidiert. Ständeratspräsidentin 2023 ist Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte). Sie plant und leitet die Verhandlungen des Rates, führt das Ratsbüro und vertritt den Rat nach aussen.
Majorzwahlen
Ständeratswahlen finden alle vier Jahre statt, in den meisten Kantonen zeitgleich mit den Nationalratswahlen. Ständeratswahlen sind fast überall Majorzwahlen: Gewählt ist, wer am meisten Stimmen erhält. Die Kantone entscheiden selbst, wann und wie sie ihre Vertretung in den Ständerat bestimmen.
Termin Ständeratswahlen
Die nächsten Wahlen werden durchgeführt im April oder Oktober 2023.
Vereinigte Bundesversammlung
Bei bestimmten Geschäften treten Nationalrat und Ständerat als «Vereinigte Bundesversammlung» zusammen. Die Vereinigte Bundesversammlung wählt die Mitglieder der Regierung und der Bundesgerichte, den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin sowie den Bundesanwalt oder die Bundesanwältin. Ausserdem tritt sie zusammen, um Erklärungen des Bundesrats entgegenzunehmen und über Zuständigkeitskonflikte zu entscheiden.
Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter finden Sessionen statt, die je drei Wochen dauern: In dieser Zeit treten National- und Ständerat zusammen, um Geschäfte zu diskutieren und zu beschliessen. Die beiden Kammern tagen getrennt, aber unter demselben Dach: im Parlamentsgebäude in Bern. Zwischen den Sessionen finden Büro-, Fraktions- und Kommissionssitzungen statt.
Frühlingssession:
27. Februar – 17. März
Sommersession:
30. Mai – 16. Juni
Herbstsession:
11. – 29. September
Wintersession:
4. – 22. Dezember
Sondersession (bei Bedarf):
2. – 4. Mai
Wahl Präsident/in des Nationalrats und des Ständerats:
4. Dezember
Gesamterneuerungswahl des Bundesrates, Wahl Bundespräsident/in und Vizepräsident/in des Bundesrats:
13. Dezember
Die Sitzungen sind öffentlich. Die Debatten werden auf der Webseite des Parlaments live übertragen und nach rund einer Stunde als Wortprotokoll mit Video im Amtlichen Bulletin publiziert:
www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Amtliches Bulletin
Sitzverteilung Nationalrat
Sitzverteilung Ständerat
Debattenkultur
Trotz exakt gleicher Rechte gibt es durchaus Unterschiede zwischen den beiden Räten – nur schon wegen der Grösse. Im Nationalrat sind die Debatten strenger reglementiert, und die Redezeit ist beschränkt. Für ein Votum tritt man nach vorne ans Pult. Im Ständerat spricht man von seinem Sitzplatz aus, ohne Einschränkung der Redezeit. Im Lauf der Debatte dürfen alle das Wort ergreifen. Damit bleibt mehr Raum für Spontaneität.
Parteien und Fraktionen
11 Parteien sind im Parlament vertreten, wovon keine die Mehrheit hat. Fünf Parteien erreichen in der Vereinigten Bundesversammlung (Nationalrat und Ständerat zusammen) eine Parteistärke von mehr als 10%: SVP (24%), SP (20%), FDP (17%), Die Mitte (15%) und Grüne (13%). Diese Parteien sind im Bundesrat vertreten, mit Ausnahme der Grünen, die erstmals bei den Parlamentswahlen 2019 einen Wähleranteil von über 10% erreicht haben. Wichtiger als die Parteien sind im Parlamentsbetrieb aber die Fraktionen.
Das Parlament ist politisch in 6 Fraktionen gegliedert. Sie bestehen aus Parlamentsmitgliedern derselben oder gleichgesinnter Parteien. Auch Angehörige kleiner Kantonalparteien sowie Parteilose schliessen sich meist einer Fraktion an. Eine Fraktion zählt mindestens fünf Mitglieder.
Im Nationalrat ist die Zugehörigkeit zu einer Fraktion besonders wichtig, denn sie ist Voraussetzung für den Einsitz in einer Kommission. Je grösser eine Fraktion ist, desto mehr Kommissionssitze stehen ihr zu und desto grösser ist ihr Einfluss im Parlament. Im Ständerat hingegen spielen die Fraktionen weniger eine Rolle.
Die Fraktionen sind für die Meinungsbildung wichtig. Sie beraten wichtige Ratsgeschäfte vor und versuchen, sich auf einheitliche Positionen festzulegen, welche dann von den Ratsmitgliedern im Rat sowie gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit vertreten werden.
Kommissionen und Delegationen
Das gesamte Parlament setzt sich aus 246 Personen zusammen. Es ist schwierig, ein Thema mit so vielen Personen zu diskutieren. Deshalb werden alle Geschäfte in Kommissionen vorberaten. Ihre Sitzungen sind vertraulich. Die Kommissionen des Nationalrats zählen 25 Mitglieder, jene des Ständerats 13. Es gibt verschiedene Arten von Kommissionen:
Sachbereichskommissionen
National- und Ständerat haben neun Kommissionen, die sich bestimmten Sachbereichen widmen. Sie beraten sämtliche Sachgeschäfte vor und verfolgen die gesellschaftliche und politische Entwicklung in ihren Bereichen.
Sachbereiche:
Rechtsfragen
Sicherheitspolitik
Staatspolitik
Wirtschaft und Abgaben
Soziale Sicherheit und Gesundheit
Wissenschaft, Bildung und Kultur
Verkehr und Fernmeldewesen
Umwelt, Raumplanung und Energie
Aussenpolitik
Aufsichtskommissionen
Zwei Kommissionen jeder Kammer widmen sich der Aufsicht: die eine den Finanzen, die andere der Prüfung der Geschäfte anderer Bundesbehörden (Finanzkommission bzw. Geschäftsprüfungskommission).
Das schärfste Mittel der parlamentarischen Aufsicht ist die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK). In der Geschichte der Schweiz wurde eine PUK erst viermal eingesetzt, die letzte 1996.
Delegationen
Delegationen setzen sich aus Mitgliedern beider Kammern zusammen. Drei Delegationen nehmen Aufsichtsfunktionen wahr, sieben vertreten das Schweizer Parlament in internationalen parlamentarischen Versammlungen. Fünf weitere Delegationen pflegen die Beziehungen mit den Parlamenten der Nachbarländer.
Instrumente des Parlaments
Ratsmitglieder, Fraktionen und Kommissionen können Massnahmen anstossen, neue Gesetze vorschlagen und Auskünfte oder Berichte verlangen. Diese Vorstösse richten sich meistens an den Bundesrat.
Mit einer parlamentarischen Initiative können Ratsmitglieder, Fraktionen oder Kommissionen einen Entwurf für ein Gesetz vorschlagen. Sind beide Räte damit einverstanden, übernimmt eine Kommission die Ausarbeitung des Entwurfs.
Mit einer Motion erhält der Bundesrat den Auftrag, einen Entwurf zu einem Gesetz oder einer Verordnung vorzulegen oder eine bestimmte Massnahme zu treffen. Damit eine Motion verbindlich ist, muss sie von beiden Räten angenommen werden.
Ein Postulat beauftragt den Bundesrat, zu prüfen und zu berichten, ob ein Entwurf zu einem Gesetz vorzulegen oder eine Massnahme zu treffen ist. Damit eine Motion verbindlich ist, muss sie von beiden Räten angenommen werden.
Bevor eine Motion oder ein Postulat in den Rat kommt, gibt der Bundesrat eine Empfehlung dazu ab. Zur Annahme empfohlene Vorstösse werden beschleunigt behandelt. Die Empfehlung wird vom zuständigen Departement vorbereitet.
Mit einer Interpellation wird vom Bundesrat Auskunft verlangt über wichtige innen- und aussenpolitische Ereignisse und Angelegenheiten des Bundes. Die Antwort des Bundesrats wird dann manchmal im Ständerat diskutiert, bei «dringlichen» Interpellationen auch im Nationalrat.
Auch mit einer Anfrage wird vom Bundesrat Auskunft verlangt. Der Bundesrat beantwortet die Anfrage schriftlich, sie wird im Rat nicht behandelt. «Dringliche» Anfragen müssen vom Bundesrat in der gleichen Session beantwortet werden.
In der Fragestunde im Nationalrat können Ratsmitglieder dem Bundesrat Fragen zu aktuellen Themen stellen. Die Fragen müssen sie eine Woche vorher schriftlich einreichen und werden von der zuständigen Departementsvorsteherin oder dem zuständigen Departementsvorsteher mündlich beantwortet.
Anzahl Vorstösse pro Ratsmitglied