Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (BPSO): Sie beide halten sich täglich in der Natur auf. Wie wirkt sich der Klimawandel auf Ihre Arbeit aus?
Valérie Piccand (VP): Auf unserem Hof im Berner Jura kann das Wasser nach zwei heissen Wochen knapp werden. Zudem gibt es auch mehr Wetterextreme – mit Kälte und viel Regen. Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Deshalb passen wir unseren Betrieb an den Klimawandel an.
BPSO: Was unternehmen Sie?
VP: Wir ergänzen unsere Wiesen mit Pflanzensorten, die widerstandsfähiger sind als die herkömmlichen Gräser, und wir halten genügsame Kuhrassen, die auch mit etwas weniger Futter genug Milch geben.
Daniel Yule (DY): Auch in den Alpen haben die Wetterausschläge zugenommen: An einem Tag fahren wir Ski bei einer Temperatur von minus zehn Grad – am Tag darauf brennt die Sonne vom Himmel und der Schnee schmilzt weg. Das macht das Trainieren schwierig.
BPSO: Was Sie schildern, bestätigt den Befund der Wissenschaft: Der Klimawandel trifft die Schweiz hart.
DY: Ja, die Gletscher verschwinden in rasantem Tempo. Je nach Gletscher können wir nach dem Training mit den Skiern nicht mehr bis zur Bergstation fahren. Noch vor wenigen Jahren war das zum Beispiel in Zermatt problemlos möglich. Zudem ist die Schneefallgrenze in den letzten Jahren gestiegen.
BPSO: Es beeindruckt mich, dass Sie als junger Mensch diese Unterschiede so deutlich bemerken. Das zeigt, wie schnell der Klimawandel voranschreitet. Welche Massnahmen soll die Politik aus Ihrer Sicht für den Klimaschutz ergreifen?
DY: Es kann nicht sein, dass ein Flug von Genf nach London billiger ist als eine Zugfahrt von Martigny nach Zürich. Daher finde ich es richtig, wenn auf Flugtickets eine Abgabe erhoben wird. Generell sollte der Preis eines Produkts auch seine Kosten für die Umweltbelastung abdecken.
BPSO: Völlig einverstanden. Die Auswirkungen unseres Verhaltens auf die Umwelt müssen ihren Preis haben. Ich bin überzeugt: Die Menschen sind bereit, diesen Preis zu bezahlen. Denn sie wissen eigentlich, dass man bezahlen sollte, was man verursacht.
VP: Nicht nur der Verkehr, sondern auch die Landwirtschaft muss ihren Beitrag an den Klimaschutz leisten. Auch sie verursacht Treibhausgase. Ich wünsche mir, dass der Staat uns darin unterstützt, die Emissionen zu verringern und die Energieeffizienz der Bauernhöfe zu verbessern. Wir können viel tun: Landwirtschaftlich genutzte Böden speichern grosse Mengen CO2. Wenn unsere Kühe zudem auf der Weide grasen statt Soja zu fressen, das von weit her importiert wird, dann ist auch das gut fürs Klima. Es ist aber auch positiv für das Wohl der Tiere, die Qualität der Lebensmittel und das Einkommen der Bauern. Sich konzentrieren auf Schweizer Milch und lokal produziertes Fleisch: Das ist eine grosse Chance für uns Bäuerinnen und Bauern!
BPSO: Klimaschutzmassnahmen sind ohnehin eine Chance für die Wirtschaft; etwa für das Gewerbe, das Solarpanels montiert oder für die Forscherinnen und Forscher, die klimafreundliche Technologien entwickeln. Das schafft Arbeitsplätze und stärkt die Exportindustrie.
DY: Der Klimawandel kann auch eine Chance für den Tourismus sein. In Orten, die bislang vom Wintertourismus gelebt haben, werden die Sommermonate wichtiger – und damit Sportarten, für die es keinen Schnee braucht.
BPSO: Ihre Beispiele gefallen mir, denn sie zeigen, dass uns der Klimawandel zwar herausfordert, dass wir ihn aber positiv gestalten können. Mit unseren Klimazielen wollen wir wegkommen von Erdöl und Gas. Wenn wir sie durch einheimische Sonnen- und Wasserenergie ersetzen, investieren wir bei uns statt im Ausland und erhöhen die Versorgungssicherheit. Denn Sonne und Wasser sind verlässlicher als Ölquellen in Libyen oder Kasachstan.
VP: Die Landwirtschaft kann bei diesen sauberen Energien mithelfen. Auf Stall- und Scheunendächern hat es viel Platz für Solaranlagen.
DY: Die Investitionen für Solaranlagen oder Wärmepumpen mögen heute teuer erscheinen. Auf lange Frist lohnen sie sich aber, weil sich so viel Energie einsparen lässt. Ich möchte auch meinen Kindern noch zeigen können, wie viel Freude man beim Skifahren erlebt.
BPSO: Stichwort Zukunft: Im Jahr 2050 will die Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Sie, Herr Yule, sind dann jünger als ich es jetzt bin. Wir haben dreissig Jahre Zeit für die Umstellung auf ein Leben ohne fossile Energie. Sie beide sind mit Ihrem Engagement grossartige Botschafter. Sie machen Mut und zeigen: Der Wandel ist möglich!
Valérie Piccand (geboren
1979) ist Agrar-Ingenieurin. Sie bewirtschaftet in Les Reussilles (BE) einen
Bauernhof mit Gras- und Viehwirtschaft. Sie ist Co-Präsidentin der
Genossenschaft «Autrement», die in Tramelan einen Laden mit lokalen Bio-Produkten
betreibt.
Daniel Yule (geboren 1993) gehört
der alpinen Skinationalmannschaft an. Der Walliser Slalom-Spezialist gewann im
Mannschaftswettbewerb die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2018 und bei
den Weltmeisterschaften 2019. Als Athletensprecher des Internationalen
Skiverbands FIS äussert er sich immer wieder zum Klimawandel.