Herr Meyer, entscheidet das Bundesgericht immer gerecht?
Das Bundesgericht kann nicht direkt gestützt auf persönliche Gerechtigkeitsüberlegungen der einzelnen Richterinnen und Richter urteilen. Vielmehr ist es an das geltende Recht gebunden. Kann nun ein rechtmässiges Urteil ungerecht sein? Grundsätzlich nicht. Allerdings muss die beabsichtigte Lösung durchaus überdacht werden, wenn sich ein gestörtes Gerechtigkeitsempfinden einstellt. Ich selber musste noch nie gegen mein eigenes Gerechtigkeitsgefühl entscheiden, nicht einmal in jenen Fällen, in denen ich überstimmt wurde.
Was macht einen guten Bundesrichter aus?
Erste Voraussetzung ist die Liebe zur Sache, also die Freude am Beruf. Eine Bundesrichterin oder ein Bundesrichter muss selbstverständlich auch über die Fähigkeiten des juristischen Denkens und über Erfahrung verfügen. Weiter sollte ein Bundesrichter die Bereitschaft mitbringen zuzuhören, andere Standpunkte zu berücksichtigen und die eigene Auffassung in Frage stellen zu lassen.
Was passiert, wenn sich die Bundesrichter über die Lösung eines Falles nicht einig sind?
In diesem Fall kommt es zu einer öffentlichen Urteilsberatung: Die beteiligten Richterinnen und Richter treffen sich im Gerichtssaal und diskutieren die verschiedenen Vorschläge. Am Schluss wird das Urteil in Anwesenheit des Publikums gefällt. Es gibt kein Sitzungsgeheimnis. Darin äussert sich das für die Schweiz charakteristische demokratische Prinzip der Transparenz auch bei der höchstrichterlichen Entscheidfindung.
Wie geht das Bundesgericht mit Kritik an seinen Urteilen um?
Sehr gelassen. Urteile sind Gegenstand öffentlicher Diskussion. Es liegt in der Natur der Sache, dass Entscheide des Bundesgerichts die einen erfreuen, die anderen nicht. Damit muss man umgehen können.
Hat sich die Arbeit der Bundesrichter im Laufe der Zeit verändert?
Die Urteilstätigkeit als solche hat sich nicht verändert: Lesen, Überlegen und Schreiben sind die Mittel und Formen der juristischen Entscheidfindung. Hingegen hat der Computer die Arbeitsweise stark beeinflusst. Der Grossteil der juristischen Arbeit findet heute am Bildschirm statt.
Kann ich eine Beschwerde ans Bundesgericht auch per E-Mail schicken?
Mit einem normalen E-Mail oder per Fax geht das nicht. Auf elektronischem Weg aber schon, sofern die Eingabe mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und über eine anerkannte Zustellplattform fristgerecht ans Bundesgericht gesendet wird. Das Bundesgericht arbeitet zusammen mit den Kantonen intensiv an der Realisierung des gesamtschweizerischen elektronischen Rechtsverkehrs.